Merkmale eines Handelsvertretervertrages: Urteil der Cour de cassation – Kammer für Handelssachen vom 24.4.2024 (Cass. com., 24 avril 2024, n° 23-12.643, F-D)
Im von der französischen Cour de cassation zu entscheidenden Fall ging es um folgenden Sachverhalt:
Zwischen der Firma B. Braun (spezialisiert auf die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Medizinprodukten) und der Firma I-Novsurgeiner wurde ein als „Dienstleistungsvertrag“ bezeichneter Vertrag (inkl. Zusatzvereinbarungen) geschlossen.
Die Firma I-Novsurgeiner wurde beauftragt ab 1.12.2025 Leistungen zu erbringen die darin bestanden die besten Kontakte innerhalb von Krankenhäusern zu identifizieren und die Personen anzusprechen, um die Produkte der Firma B. Braun vorzustellen, diese Kontakte als Kunden zu akquirieren und mit ihnen über die Durchführung von Tests zu verhandeln, die Tests durchzuführen und die technischen Qualitäten der Produkte zu präsentieren, die Kunden in der Verwendung der Produkte zu schulen und ihnen die Betreuung nach dem Verkauf zu gewährleisten.
Die Firma B. Braun hatte am 26. Juli 2018 den Vertrag mit Wirkung zum 31. Dezember 2018 gekündigt. Daraufhin verklagte die Firma I-Novsurg die Firma B. Braun auf Ersatz ihres Schadens wegen einseitigen Abbruchs der Geschäftsbeziehung und beantragte die Umqualifizierung des zwischen ihnen bestehenden Vertrags in einen Handelsvertretervertrag.
Das Berufungsgericht von Versailles hatte die Klage der Firma I-Novsurg in zweiter Instanz abgewiesen. Als Begründung wurde insb. aufgeführt, dass die Erstellung und Übermittlung von Preisangeboten an die Kunden in den Zuständigkeitsbereich der Firma B. Braun fallen und die Firma I-Novsurg keine Befugnis zur Aushandlung der Vertragsbedingungen und zur Unterzeichnung von Verträgen haben würde. Die Firma I-Novsurg würde nicht nachweisen, über die Befugnis zur Aushandlung von Preisen zu verfügen, eine umfassende Verhandlungsmacht zu haben und Verträge im Namen der Firma B. Braun unterzeichnen zu können.
Diese Argumente wurden von der Cour de cassation zurück gewiesen: Indem das Berufungsgericht so entschied und verlangte, dass die Firma I-Novsurg entweder die Befugnis hat, selbst Verträge abzuschließen, oder die Befugnis, die Preise der Waren oder Dienstleistungen oder die Bedingungen der vom Auftraggeber abgeschlossenen Verträge zu ändern, hat es gegen Artikel L. 134-1 des französischen Handelsgesetzbuchs (code de commerce) verstoßen.
Gemäß Artikel L. 134-1 des französischen Handelsgesetzbuchs (code de commerce) ist Handelsvertreter ein Beauftragter, der in Ausübung eines unabhängigen Berufs, ohne durch einen Dienstleistungsvertrag gebunden zu sein, dauerhaft damit beauftragt ist, im Namen und für Rechnung von Herstellern, Industriellen, Händlern oder anderen Handelsvertretern Verkaufs-, Kauf-, Miet- oder Dienstleistungsverträge zu verhandeln und gegebenenfalls abzuschließen.
Um als Handelsvertretervertrag qualifiziert zu werden, sei es nicht Voraussetzung, dass der Handelsvertreter selbst Verträge schließen und Preise ändern könne.
Die vorliegende Entscheidung entspricht einem bereits am 2.12.2020 Dezember ergangenen Urteil der Cour de cassation (Cass. com, 2 décembre 2020 n° 18-20.231). Darin hatte die Cour de cassation seine strenge Interpretation der Merkmale eines Handelsvertretervertrages aufgegeben und sich der Rechtsprechung des EuGH angepasst. Der EuGH hatte in einer Rechtssache C-828/18 (Firma Trendsetteuse SARL / DCA SARL – Vorlage durch das Handelsgericht von Paris) am 4.6.2020 entschieden:
„Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass eine Person nicht notwendigerweise über die Möglichkeit verfügen muss, die Preise der Waren, deren Verkauf sie für Rechnung des Unternehmers besorgt, zu ändern, um als Handelsvertreter im Sinne dieser Bestimmung eingestuft zu werden.“